
Aktuelle grundsätzliche Probleme
im Bereich
Regulierung, Liberalisierung und
Telekommunikation
Übersicht:
1. Geht Anbieterförderung dem
Kundenschutz vor?
2. Deutliche Preisanstiege
ohne nachvollziehbaren Grund
3. Regulierungsbehörde bleibt
passiv
4. Probleme gehören gelöst
5. Der Einzelne kann nicht viel
ausrichten
6. Die Menge machts aus
Literaturhinweise
1.
Geht Anbieterförderung dem Kundenschutz vor?
Leider deuten sowohl die bisherigen
europarechtlichen als auch österreichischen Erfahrungen darauf hin, dass das Wohl des Kunden nicht das oberste Prinzip
der gesetzlichen Regelungen oder gar der behördlichen Vollzugspraxis
darstellt. Umgekehrt lassen sich Tendenzen, dass sich der unabhängig
eingerichtete "Regulator"
eher mit den von ihm eigentlich zu bewachenden großen Unternehmen
solidarisiert, als die zu schützende Allgemeinheit zu berücksichtigen,
nicht mehr leugnen (sog. "industry-mindedness"
der Aufsichtsbehörden).
2.
Deutliche Preisanstiege ohne nachvollziehbaren Grund
Dass der "liberalisierte Markt" für
Strom und Gas den einzelnen Haushalten jenseits von Wechselprämien kaum
etwas gebracht hat, konnte schon im Vorfeld erahnt werden und scheint sich
in der Praxis zu bestätigen. Telekommunikation war hingegen – getrieben vom
technischen Fortschritt –
seit den späten 90er Jahren von sinkenden Preisen bei besserer Leistung
geprägt. Seit 2011 und insbesondere seit dem Verschwinden der Marke Orange
im Jahr 2013 haben jedoch die Endkundenpreise
stark angezogen, obwohl die eigentlichen Kosten der Anbieter
weiterhin sinken (diesbezüglich hat EU-Kommissar Almunia sogar
ausdrücklich zugegeben, dass der Verzicht auf Verpflichtungen im Vorfeld
ein Fehler der Europäischen Kommission war, siehe hier).
Mit dem Rückgang auf drei Mobilfunkanbieter in Österreich scheint sich
eine Interessenidentität der drei Oligopolisten
eingestellt zu haben, sodass man sich
gegenseitig nicht mehr übermäßig "weh tut". Wenn sich alle drei
mit ihren aktuellen Marktanteilen zufrieden geben und in ähnlicher Weise
die Tarife anheben, bleibt neuen Kunden nichts übrig, als mehr zu zahlen,
wenn sie nicht gänzlich auf mobile Kommunikation verzichten wollen.
3.
Regulierungsbehörde bleibt passiv
Diese Entwicklung wird auch
von den Regulierungsbehörden nicht gerade behindert. Die
gesetzlich vorgeschriebene Prüfung von Geschäftsbedingungen wird in der
Praxis offensichtlich nicht allzu ernst genomen. Somit steigen auch die
Profitchancen der Anbieter. Die Regulierungsbehörde scheint es
diesbezüglich in Kauf zu nehmen, dass immerhin mit einigen Jahren
Verzögerung indirekte Rügen durch Entscheidungen des Obersten
Gerichtshofes erfolgen, wenn sich die bei der Vorabprüfung
"durchgegangenen" Vertragsbestandteile schlussendlich doch als klar
rechtswidrig herausstellen. Immerhin können die Anbieter die illegalen
Mehrerträge bei der Vielzahl der nicht aktiv klagenden Kunden während des
Prozesszeitraums regelmäßig einbehalten.
Selbst einseitige Änderungsprivilegien
bei an sich wechselseitig bindenden Verträgen mit den Kunden
werden von der eigentlich dem Wohl der Allgemeinheit verpflichteten Behörde vehement verfochten (siehe
auch deren Ausführungen
zu einseitigen Änderungen oder deren Replik
auf meine Darstellung im Rechtspanorama
der Tageszeitung "Die Presse").
Damit können die tendenziell ohnehin übermächtigen, die Bedingungen bei
der Vertragsunterzeichnung vorgebenden Anbieter noch besser Geld vom
Kunden erhalten, indem sie für ihre Leistung nachträglich mehr Geld als
vereinbart verlangen können. Hierbei kommt ihnen sowohl das natürliche
Trägheitsmoment des Kunden zu Gute als auch die marktmachtbedingte
Alternativlosigkeit, wenn Neukundenkonditionen branchenweit noch stärker
verschlechtert wurden.
Insoweit vermag es auch nicht erstaunen, dass auch im Rahmen der Wettbewerbsregulierung
sehr formalistische Marktabgrenzungsverfahren durchgeführt
werden, die mit den Grundsätzen allgemeinen Wettbewerbsrechts eher die
Bezeichnung als den Inhalt gemein haben. Die Regulierungsbehörde kann
dabei selbst bei dem aufgrund knapper Frequenzen recht verschlossenen
Mobilfunk in letzter Zeit keine gegenüber den Kunden marktmächtigen
Anbieter geschweige denn koordinierte Verhaltensweisen erkennen. Insoweit
nimmt sie vorerst nur eine verlangsamte
"Wettbewerbsdynamik" wahr, anstatt eine Verpflichtung zum
behördlichen Eingreifen zu erkennen. Ebenso ist die Antwort des BMVIT auf die parlamentarische Anfrage 4669/J
im Jahr 2015 typischerweise enttäuschend
ausgefallen. Auch die Ergebnisse der Kartelluntersuchung der Bundeswettbewerbsbehörde
sowie der parallelen Analysen der Regulierungsbehörde, die nach
eineinhalbjährigen Untersuchungen im Frühjahr 2016 präsentiert wurden,
scheinen zu keinen weiteren Reaktionen zu führen. Darüber hinaus wird das
aktuelle regulierungsbehördliche Marktmachtverfahren
M
1/15 interessant zu verfolgen sein, in dem die eindeutig vorhandene
und gemäß Telekommunikationsgesetz zu neutralisierende Marktmacht
festgestellt werden könnte. Dennoch könnten die Behörden selbst hier von vermeintlichem Sonnenschein
am Pseudo-Wettbewerbsmarkt der Netzuntermieter
geblendet werden, sodass die hohen Margen der
"Branche" zu Lasten der allgemeinen Volkswirtschaft langfristigen Bestand
haben könnten.
4.
Probleme gehören gelöst
Die Höchstgerichte
haben eine Tendenz, sich aus dem Regulierungsrecht eher
herauszuhalten.
Der Verfassungsgerichtshof hat
sehr früh klargestellt, dass diese Agenden eher dem Verwaltungsgerichtshof
zustehen. Vielleicht kommt der Verfassungsgerichtshof jedoch irgendwann
dazu, die Verfassungskonformität angeblich zulässiger einseitiger
Änderungsprivilegien der Anbieter zu prüfen (schließlich wird damit das
verfassungsrechtlich geschützte Eigentumsrecht von Millionen Kunden ohne
erkennbaren oder verhältnismäßigen, im öffentlichen Interesse gelegenen
Grund eingeschränkt).
Der Verwaltungsgerichtshof hat
sich hingegen mit den Regulierungsangelegenheiten auseinander setzen
müssen. Dabei hat er viele Bescheide schon wegen formaler Mängel aufheben
müssen, ohne inhaltlich allzu sehr in dieTiefe zu gehen. Sofern eine
inhaltliche Auseinandersetzung nötig war, ist leider auch der
Verwaltungsgerichtshof bisweilen dem Trugschluss erlegen, dass
Regulierungsrecht weniger streng als sonstiges Recht nach dem Wortlaut der
gesetzlichen Regelungen zu verstehen sei.
Meiner Meinung nach kann auch und gerade hier Ermessen nur im Rahmen und
im Sinne des Gesetzes möglich sein, um allgemeinen rechtsstaatlichen
Grundanforderungen zu genügen. An sich geht ein weiterer behördlicher
Spielraum mit einer exakteren behördlichen Begründungspflicht einher,
während Prof. Bernhard Raschauer hier zutreffend von einem
höchstrichterlichen "Dispens vom Legalitätsprinzip" spricht. Entsprechend
wurden auch sonstige, kaum mehr auf das Gesetz rückführbare Entscheidungen
der Regulierungsbehörde bzw. bloß von Empfehlungen der demokratisch kaum
legitimierten Europäischen Kommission geprägte Entscheidungen teilweise
höchstgerichtlich gebilligt, anstatt sie zu versagen.
Immerhin scheint der Verwaltungsgerichtshof in den letzten Jahren seinen
Zugang etwas revidiert zu haben, indem er bei den weiten Ermessensübungen
nun immerhin einen nachvollziehbaren Bezug zu den im
Telekommunikationsgesetz festgelegten Regulierungszielen fordert (siehe
erstmals VwGH
30. 6. 2011, 2009/03/0001; freilich gibt es in § 1 TKG
viele Ziele mit unterschiedlichen bis widersprüchlichen Ausrichtungen).
Künftig wird auch das 2014 eingeführte Bundesverwaltungsgericht eine
wichtige Rolle spielen.
Der Oberste Gerichtshof hat in
den letzten Jahren in einigen Entscheidungen immerhin gezeigt, dass viele
zu Lasten der Kunden gehende Wünsche der Anbieter so doch nicht zulässig
sind.
5.
Der Einzelne kann nicht viel ausrichten
Diese Seite soll die öffentliche
Wahrnehmung der Problemfelder bei privat organisierten und
staatlich regulierten Infrastrukturindustrien stärken und
Hintergrundinformationen dazu bereitstellen.
Da dem einzelnen Kunden nach dem Konzept des österreichischen
Telekommunikationsgesetzes neben eher unverbindlich gestalteten Schlichtungsverfahren
(oder allfälligen Hinweisen an die Europäische Kommission auf Verletzung
europarechtlicher Vorgaben) und im Extremfall denkbaren
Amtshaftungsansprüchen gegenüber der Behörde kaum durchsetzbare Rechte
zustehen, kann er eher nur auf dem Zivilrechtsweg vor den ordentlichen
Gerichten zu seinem Recht kommen. Hier wirken die Verfahrenskosten
angesichts der den einzelnen Kunden regelmäßig betreffenden
Bagatellbeträge jedoch prohibitiv. Entsprechend werden klärende Verfahren
eher nur – aber immerhin – von den
Verbraucherschutzorganisationen geführt.
Über die Rechtsprechung des EuGH (EuGH 21. 2. 2008, C-426/05 [Tele2/TCK]
Slg 2008, I-685 und darauf aufbauend VwGH 26. 3. 2008, 2008/03/0020) wurde
immerhin klargestellt, dass einer "betroffenen
Partei" im Sinne des effektiven Rechtsschutzes auch
entsprechende Rechtsmittelbefugnisse gegen Entscheidungen der Behörde
zustehen müssen. Insoweit sollten seither auch Kunden, die die
Voraussetzungen der Betroffenheit erfüllen, als Partei am Verfahren
mitwirken und Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Regulierungsbehörde
erheben können.
6.
Die Menge machts aus
Hat man hingegegen markante
Teile der Landesbevölkerung als Kunden, wie es bei
Telefonverträgen üblich ist, macht hingegen
auch Kleinvieh Mist: 1 Euro
monatlicher Mehrertrag bei 15 Mio. Kunden macht über das Jahr gesehen 180
Mio. Euro für die Branche aus (die seit Jahren populären Servicepauschalen
bewegen sich in einer Größenordnung von 20 Euro jährlich, ohne dass deren
über die Grundgebühr hinausgehende Mehrleistung erkennbar oder
abbestellbar wäre; auch wenn selbst bei der Regulierungsbehörde keine
letztgültigen und auf den Umsatz abstellenden Statistiken publiziert
werden, so bewegen sich die Marktanteile bezogen auf den gesamten
Telefonmarkt grob in folgenden Größenordnungen: deutlich unter 50 % bei
der A1 Telekom Austria AG, knapp 30 % bei der T-Mobile Austria GmbH und
gut 20 % bei der Hutchison Drei Austria GmbH; selbst einzelne
Kabelnetzbetreiber haben österreichweit gesehen kaum 2 % Gesprächsanteil,
wenn auch die Berücksichtung von Umsätzen oder Internetanschlüssen zu
einem geringfügig höheren Marktanteil im Kommunikationsbereich führen
würde –
für bessere Daten bin ich jederzeit dankbar).
Insoweit wäre das Problem auch vom Nationalrat als Gesetzgeber
oder von der Politik als
dem
die Weichen stellenden Akteur vehementer
anzugehen. Freilich spielt auch die Europäische Union mit, wo die
Anbieter mit ihren Lobbyaktivitäten vielfach effizienter auftreten als die
Allgemeinheit. Der nächste und langfristig entscheidende Lackmustest wird
die Zukunft der Netzneutralität im
Internet betreffen, wo einander Allgemeininteressen und unterschiedliche
Interessen der verschiedenen Anbieter gegenüberstehen.
Stand: 2015; 2016 geringfügig aktualisiert
1. Für weitergehende Informationen sei in erster Linie auf meine im
Downloadbereich verfügbaren
Beiträge in Fachzeitschriften sowie
deren Kurzzusammenfassungen verwiesen.
2. Bücher
Philipp Lust,
Telekommunikationsrecht im Überblick
2. Auflage 2015
facultas;
ISBN 978-3-7089-1310-0; 359 Seiten (davon 95 Seiten Gesetzestext); 34 Euro

Prospekt
Inhaltsverzeichnis
Für weitere Details siehe hier.
Als umfangreicheres Werk kann auch
Wolfgang Feiel/Hans Peter Lehofer,
Telekommunikationsgesetz 2003 - Praxiskommentar
Verlag
Medien und Recht 2004; ISBN: 978-3-900741-43-3; 398 Seiten; 74 Euro
empfohlen werden.
Schlussendlich ist 2016 mit
Thomas Riesz/Michael Schilchegger
(Hrsg.), TKG – Kommentar
auch ein knapp 1800 Seiten starkes Werk
zum österreichischen Telekommunikationsrecht erschienen (Verlag
Österreich; ISBN: 978-3-7046-6278-1; 399 Euro). Als einer der 24
Autoren habe ich u.a. die Begriffsbestimmungen in § 3 des österreichischen
Telekommunikationsgesetzes kommentiert; siehe auch die vollständige
Leseprobe zu § 3 Z. 25 TKG 2003 zur Zusammenschaltung.
3. Nicht zu meinen Werken gehören die "Erinnerungen eines Lebemannes", die
1908 mit einer Auflage von etwa 400 Stück und einem anderen inhaltlichen
Schwerpunkt von Felix Biedermann (Künstlername Felix Dörmann) unter dem
Pseudonym Philipp Lust erschienen sind.
<- Zurück zur Übersicht
Recht
-> Weiter zu Downloads und Zusammenfassungen meiner
Publikationen
Philipp Lust, 2016
www.lust.wien